„Voigt?“
„…“
„Hallo?“
„Hier ist Marlena.“ Stille.
„Marlena.“ Simon runzelt die Stirn. Mit diesem Anruf hat er nicht gerechnet. Er lässt sich zurück auf seine Couch im Wohnzimmer sinken, stellt beiläufig den Fernseher auf lautlos. Wieder kehrt
Stille ein – auch in der Leitung ist es ruhig.
„Geht’s dir wieder besser?“, fragt er, nachdem er Marlena eine Weile beim Schweigen zugehört hat.
„Ja.“ Wow, nicht so überschwänglich! „Das freut mich zu hören“, antwortet Simon schlicht. Was soll er auch sonst sagen?
Langsam lehnt er sich in seine Polster zurück. Auf dem Bildschirm streitet sich lautlos irgendein Pärchen in einer US-Serie. Worum es geht, weiß er nicht. Er hatte schon vor dem Anruf nicht
wirklich zugesehen.
Marlena am anderen Ende der Leitung räuspert sich. „Bist du gut nach Hause gekommen, vorgestern?“
Simon kann nicht verhindern, dass er ein wenig belustigt klingt, als er antwortet. Will sie jetzt wirklich Smalltalk machen? „Aber sicher. Meine Anschlussbahn hat etwas auf sich warten lassen,
was bei dem Schnee etwas nervig war, aber als ich zuhause war, hab‘ ich mir ein heißes Bad gegönnt und alles war wieder gut.“ Er macht eine Pause und wird ernst. „Aber ich bin sicher, deswegen
rufst du nicht an.“ Lass uns Klartext reden, meine Liebe.
Sie zögert, bevor sie mit dünner Stimme antwortet. Fast tut sie Simon ein bisschen Leid. „Hör zu, ich möchte mich bedanken. Dass du in der Bahn für mich da warst, war nicht selbstverständlich,
das weiß ich. Was du da gesehen hast…“
„Was hab‘ ich denn gesehen?“ Der Satz war draußen, bevor er sich hätte bremsen können. „Was du da gesehen hast, das war nicht ich. Es tut mir leid, ich stand neben mir.“ Es klingt zumindest ein
bisschen bestimmter als vorher.
Das hab‘ ich gesehen, denkt Simon, respektiert aber für den Moment die von ihr gezogene Grenze. Seine Stimme klingt ernst, vertrauenserweckend, als er antwortet. „Du brauchst dich nicht
entschuldigen, Marlena. Ich weiß aus meinem Zivildienst in der Reha ziemlich genau, wie eine Panikattacke aussieht, und dagegen ist man nun mal machtlos. Es freut mich einfach, wenn ich dir
helfen konnte.“
Er meint, ein leises Schlucken durch die Leitung zu hören. „Das hast du. Danke.“
„Darf ich erfahren, was los war?“ Er spricht die Worte betont locker aus. Hört, wie sie zögert. „Lieber nicht. Ich rede nicht gerne darüber.“
„Hast du das öfter?“, lässt er nicht locker. Er weiß, dass sie es ihm nicht erzählen wird, noch bevor der Satz verklungen ist. Aber verdammt, was soll das? Sie muss doch längst erkannt haben,
dass er ihr nichts Böses will!
Marlena versucht erst gar nicht, einen eleganten Übergang in ein anderes Thema zu finden. Leichte Panik schwingt in ihrer Stimme mit, als sie wieder zu sprechen beginnt. „Wie auch immer, ich rufe
noch aus einem anderen Grund an“, geht sie über seine Frage hinweg.
„Ich möchte mich auch für den Ausgang der Probe entschuldigen. Das war nicht fair.“ Simon atmet hörbar aus. „Wenn’s nicht passt, passt’s halt nicht“, gewährt er ihr die Flucht nach vorne. Marlena
schnaubt. Langsam klingt ihre Stimme wieder wie ihre eigene. „Du weißt genau, dass es das nicht ist, Simon. Es ist… ich bin… ich weiß einfach nicht…“
„Marlena, komm, lass‘ gut sein“, unterbricht er sie, es klingt resigniert. „Nur, weil ich vielleicht der beste Keyboarder war, der bei euch aufgeschlagen ist, heißt das nicht, dass du dein
Bauchgefühl ignorieren musst. Lass dir von deinem beknackten Manager nichts einreden. Wenn du der Meinung bist, dass du keine Musik mehr mit mir machen kannst, ist das okay.“ Jetzt klingt Marlena
amüsiert, als sie antwortet.
„Vielleicht der beste Keyboarder, der bei uns aufgeschlagen ist? Mann, dein Selbstbewusstsein ist aber auch keinen Deut kleiner geworden, oder?“
Simon muss lachen, während er gedankenverloren durch die Sender zappt. Gerichtssendungen, Kochshows, Verkaufssender an sich vorüberfliegen sieht. Wieder kehrt Stille am Telefon ein.
„Wie auch immer, ich hab‘ mich wie eine voreingenommene Vollzicke benommen.“
Die Aussage überrascht ihn jetzt doch ein bisschen. Sollte Marlena sich also wirklich entschuldigen wollen?
„Und das bist du jetzt nicht mehr?“, fragt er ohne Anklage in der Stimme. Ihre Ehrlichkeit verblüfft ihn noch mehr.
„Ich weiß nicht mehr, was ich bin, Simon. Und ich bin ganz ehrlich – ich weiß auch nicht, ob das mit uns funktionieren wird. Aber seien wir realistisch – diese Band, das bin nicht nur ich. Und du
hast Recht: Du bist mit Abstand der Beste, der vorgespielt hat. Das ist auch nicht schwer, denn ich glaube, du bist einer der Besten, die ich überhaupt jemals irgendwo gehört habe.“ Simon muss
lächeln. Das gerade von ihr zu hören, tut ihm jetzt doch irgendwie gut.
„Danke“, sagt er schlicht. Legt die Fernbedienung weg, als er bemerkt, dass er wieder bei seiner Eingangsserie angekommen ist. Marlena räuspert sich erneut. „Also pass auf, ich mache dir
folgenden Vorschlag.
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