17.

Das Konzert läuft hervorragend, denkt Simon begeistert. Seit zwanzig Minuten stehen die ‚Freifahrtschein’e mit ihm auf der Bühne, und musikalisch lief bislang alles einwandfrei – sogar ‚Jäger der Wüste‘ hatten sie problemlos hinbekommen, auch wenn sie das Stück bisher nur zwei Mal geprobt hatten. Gerade machen sie kurz Pause, weil Lukas seine Gitarre wechseln muss, um ‚Zeppelin‘ spielen zu können. „Dortmund, es ist geil, hier zu sein“, ruft Marlena gerade ins Publikum. „Habt ihr Bock, mit uns zu rocken?“ Die Zuschauer jubeln. Gut zu drei Vierteln ist die Konzerthalle gefüllt, und fast alle Leute, die er sehen kann, schenken der Band ihre volle Aufmerksamkeit. Dass das nicht selbstverständlich ist, weiß Simon. Er selbst ist schon etliche Male auf Konzerte gegangen, bei denen er nach drei Songs mit Freunden am Bierstand gelandet war, ohne die Band auf der Bühne noch groß zu beachten. Man kennt einen oder zwei Songs der Truppe, vielleicht wollte ein Kumpel unbedingt hin oder das Konzert findet im Stammclub statt, den man sowieso ständig besucht – Gründe, auf das Konzert einer Newcomer-Band zu gehen, gibt es viele. Dass die Stimmung, schon bevor die Band ihre Hitsingle von letztem Jahr überhaupt angestimmt hat, so bombastisch gut ist, macht Simon stolz. Er lächelt zufrieden, als er den Sound zu ‚Zeppelin‘ raussucht.
Ein Großteil dessen, was hier gerade passiert, kann man völlig neidlos Marlena zuschreiben. Mit welcher Energie der Lockenkopf über die Bühne wirbelt und die Leute zum Springen animiert, ist bewundernswert, denkt sich Simon. Er beobachtet sie, wie sie am Bühnenrand für den Bruchteil einer Sekunde, dem Publikum den Rücken zugewandt, Luft holt. Er weiß genau, wie scheißnervös sie ist – dafür kennt er sie eben doch schon lange genug. Und doch: Als sie sich wieder zu der geballten Masse Zuschauer umdreht, wirkt sie wie die Ruhe selbst.
„Tosend lärmt die Stille, ein Moment der nie vergeht“, singt sie, als das Gitarrenintro von Lukas verklungen ist. Völlig in sich gekehrt steht sie da, als könne nichts ihre innere Ruhe zerstören, solange nur sie und die Musik vereint bleiben. „Sei mit mir unendlich, für einen Augenblick.“ Simon beginnt, neben seinen Begleitungs-Soundteppichen, auch vereinzelte Leadnoten anzuschlagen. Er ist derjenige, der sie in den Refrain heben wird, raus aus der melancholischen Melodie, die ihre Stimme sanft umspielt. „Quadrate werden zu Kreisen, was keiner hier versteht. Komm mit mir auf Reisen, weil sich alles um dich dreht.“ Tilman beginnt, einen progressiven Background-Beat zu spielen und grinst Simon von der Seite an. Der Song steht kurz davor, zu einer explosiven Popnummer zu entspringen. Eine junge Frau in der ersten Reihe johlt. Simon muss grinsen. Fast hat er vergessen gehabt, wie unendlich geil es ist, zu erleben, wie andere Menschen auf seine Musik abfahren.


Wie Einsamkeit zu zweit,
alles was ich hab‘ gehört auch dir.
Kein Weg ist mir zu weit.
Komm schon, wenn du willst, ich zeig es dir.
Ich halt dich nicht fest,
auch wenn du mich loslässt –
will, dass du weißt:
Ich geb‘ dich frei!


Als Marlena sich beim Tanzen kurz umdreht, sieht sie Simon an und strahlt. Es tut gut, sie so zu sehen, fällt ihm auf. Es fühlt sich richtig an.