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„Nein, verdammt!” Hitzig steht Marlena nach der provozierenden Ansage ihres Managers auf. „Aber du musst mal langsam kapieren, dass ‚Freifahrtschein’ keine Schulband mehr ist, die sich das Risiko leisten kann, in drei Monaten wieder ein neues Bandmitglied suchen zu müssen. Wir gehen ab nächsten Monat auf Headliner-Tour, unsere Mucke wird im Radio gespielt, wir haben ‘ne Fancommunity und sind zumindest mit einem Auge im Fokus der Presse – sorry, aber da reichen zehn Jahre Klavierunterricht und ein nettes Lächeln einfach nicht aus! Wir brauchen Verlässlichkeit, wir brauchen Leidenschaft, wir brauchen Chemie auf der Bühne, Frank!“ 

Wenn Frank Baltes eins hasst, dann ist es, belehrt zu werden. Wütend funkelt er Marlena an. „Kind, ihr habt einen verdammten Ruf zu verlieren! Ich glaube, dir ist der Ernst der Lage nicht bewusst – wenn ihr kommende Woche keinen Ersatz für Ruben habt, könnt ihr langsam aber sicher anfangen, Konzerte abzusagen! Und dann brauchst du auch keine Chemie mehr auf der Bühne, weil ihr dann nämlich verdammt nochmal in eurem beschissenen Proberaum verrottet.“

Lukas hebt abwehrend die Hände. Er scheint zu seinem diplomatisch-selbstsicheren Ich zurückgefunden zu haben. „Hohoho, jetzt schlagt euch mal nicht die Köpfe ein, Kinners!“ Ruhig legt er Marlena eine Hand auf die Schulter und drückt sie sanft auf die Sitzbank zurück, um sich gleich darauf neben sie fallen zu lassen. Mit beruhigendem Blick sieht er den wütenden Bandmanager an, stützt seine Arme auf der Tischplatte ab, als wolle er einen Vortrag halten.

„In einem muss ich Marlena Recht geben, Frank. Der Typ hat wirklich nicht zu uns gepasst. Du kannst keinen Tastenperfektionisten, der alles vom Blatt abspielt, in eine dynamische Live-Band stecken und erwarten, dass der das Ding zum rocken bringt! Das funktioniert nicht, und vor allem funktioniert das nicht mit nur zwei Wochen Zeit bis zum nächsten Gig. Wir sind alle frustriert, glaub mir das bitte. Aber anstatt uns jetzt noch gegenseitig die Haare auszureißen, sollten wir lieber überlegen, wie es weitergehen soll.“

Frank schnaubt und greift nach seinem Schal. „Okay. Das hier führt jetzt zu nichts. Einen hab‘ ich noch, Leute, danach müsst ihr selber zusehen, wo ihr ‘nen Ersatz für euren Keyboardgott herbekommt.“ Er klopft auf den Tisch und wendet sich zur Tür. „Morgen, 18 Uhr hier. Seid pünktlich.“

„Verrätst du uns wenigstens noch seinen Namen?“, hält Tobias den Manager auf. Im Umdrehen sagt Frank: „Sascha oder so was, irgendwas mit S. Der Typ ist gut, stand schon mit ungefähr jeder namhaften deutschen Coverband auf der Bühne. Ist mir von ‘nem Bekannten empfohlen worden.“ Bedeutungsvoll hält er inne. „Seid nett zu ihm!“ Dann verschwindet er und die schwere Stahltür des Aufenthaltsraums fällt zu.

Aus dem Augenwinkel sieht Marlena, wie Lukas neben ihr ergeben die Augen schließt und sich die dunkelblonden Haare rauft. „Boah, kann den Typ mal bitte jemand umbringen?“ Tilman macht eine ausladende Handbewegung und grinst amüsiert. „Er ist euer Freund, ihr habt den angeschleppt“, sagt er bedeutungsvoll und schielt zu Marlena, die sich seit ihrem Ausbruch noch nicht wieder gerührt hat. Die Sängerin seufzt leise. Jetzt bitte nicht noch Diskussionen über die Band-Innenpolitik! Ihre Frustration ist sowieso schon grenzenlos, denn Frank hat leider Recht: Sie ist verletzt und wütend, weil Ruben die Band verlassen hat – so unfair das auch sein mag.

Sie piddelt das Etikett ihrer Bierflasche ab und schüttelt den Kopf. „Ich könnt‘ ihn grad auch durch die Tür treten, aber ihr dürft nicht vergessen, wie viel Gutes er schon für ‚Freifahrtschein’ bewegt hat. Ohne Frank hätten wir Tobi niemals gefunden, wir hätten niemals irgendeine Booking-Agentur dazu überredet bekommen, mit uns eine Tournee zu planen, und ob irgendjemand von uns die Hartnäckigkeit und die Connections gehabt hätte, unsere Musik ins Radio zu katapultieren, wage ich auch mal stark zu bezweifeln.“

Sie setzt sich auf. „Von der Kohle, mit der er in dieser Unternehmung drinsteckt, mal ganz abgesehen.“

Lukas winkt ab. „Ja, schon gut, er hat Recht. Wir müssen uns zusammenreißen.“

Tilman sieht sie mit festem Blick an. „Ja. Er aber auch.“