3.

Marlena sitzt am Morgen nach diesem zermürbenden Casting-Abend in ihrer Wohnung am Frühstückstisch und liest Zeitung, als das Telefon klingelt. Sie erkennt die Nummer sofort. Bis nach dem fünften Klingeln zögert sie abzuheben, entscheidet sich schließlich aber doch dafür.
„Schuster?“
„Gottlob hier. Hallo Frau Schuster.“
„Frau Gottlob. Schönen guten Tag.“
„Ich wollte mich erkundigen, ob es Ihnen gut geht.“
Marlena verzieht das Gesicht. Diese Frau verschwendet keine Zeit.
„Mir geht es gut. Danke. Ist nur recht viel zu tun momentan.“
„Ach wirklich?“ Nachdrückliches Schweigen.
Marlena räuspert sich. „Ja. Wissen Sie, wir stehen ja kurz davor, mit ‚Freifahrtschein’ auf Tour zu gehen, und unser Keyboarder hat uns kurz vor Weihnachten verlassen, weil…“ „Frau Schuster, Sie haben zwei Sitzungen verpasst. Die eine haben Sie aus fadenscheinigen Gründen abgesagt, zu der anderen sind Sie einfach nicht erschienen. Was ist los?“
Die Sängerin muss schlucken. Sie hätte wissen müssen, dass sie damit nicht durchkommt.
„Ich...Frau Gottlob, wissen sie, mir geht es wirklich gut momentan. Ich habe viel zu tun, komme wenig zum Nachdenken. Machen Sie sich bitte keine Sorgen.“
„Frau Schuster, es geht nicht darum, dass ich mir Sorgen mache. Ich bin nicht Ihre Mutter, der Sie Rechenschaft darüber ablegen müssen, warum Sie gestern Nacht nicht nach Hause gekommen sind. Aber als Ihre Therapeutin muss ich Ihnen einfach sagen, dass Sie sich Ihnen selbst gegenüber momentan grob fahrlässig verhalten. Das wird sich noch bitter rächen.“ Irene Gottlob schweigt einen Moment und fährt dann mit sanfterer Stimme fort. „Es ist noch nicht vorbei, das wissen Sie doch, oder?“
Mehrere Sekunden lang kann Marlena nicht antworten. Mit leerem Blick sieht sie aus dem Fenster in den trüben Morgen hinaus. Die Bäume im Garten hinter ihrem Haus kommen ihr mit einem Mal sehr bedrohlich vor. „Ich weiß, Frau Gottlob.“
Sie holt Luft, um die Angst, die ihr langsam den Rücken hochkriecht, zu vertreiben. „Wann haben Sie den nächsten freien Termin?“